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Heute ein interessanter Artikel aus der FAZ zur Psychologie des Strassenverkehrs, … leider hinter der Paywall. Der Artikel hat den Titel „Warum die Mobilitätswende scheitert“, was womöglich als eine Art trojanisches Pferd die klassischen FAZ-Leser dazu verleiten soll, den Artikel trotz autokritischem Inhalt zu lesen.

Hier eine kurze Zusammenfassung:

Laut wissenschaftlichen Untersuchungen

  • führten mehr Parkplätze und mehr Strassen zu mehr Autoverkehr. Dem Verkehrskollaps sei somit durch die Verkehrsplaner der Boden bereitet worden.
  • sei die Angst vor dem Verlust bei Umwidmung in Radwege kurz vor der Maßnahme am höchsten, danach steige die Akzeptanz.

Die flächendeckende Einführung von Tempo 30 habe zuletzt in Frankreich und in Brüssel zu einer starken Reduzierung der Anzahl von Verkehrstoten geführt.

Laut Jens Schade, Verkehrspsychologe an der Uni Dresden sei das größte Hindernis einer vernunftgeleiteten Verkehrswende nicht nur die Autolobby, sondern auch die Gewohnheit der Autofahrer. Diese lebten in der Annahme

  • ein Recht auf grüne Welle, freie Parkplätze und breite Straßen zu haben.
  • ein Gewohnheitsrecht bilden zu können, wenn sie lang genug zum Beispiel durch Anliegerstraßen gefahren seien.
  • … und würden sich im Stau nicht als Verursacher sondern als Opfer empfinden.

Es sei daher wichtig die Gewohnheiten zu durchbrechen, was Mut seitens der Stadtverwaltung erfordere.

Erprobte, wirkungsvolle Maßnahmen seien

  • eine City – Maut (eher was für richtige Großstädte). Die Erhöhung der Benzinpreise dagegen würde einfach bezahlt
  • die flächendeckende Einführung von Tempo 30
  • die massenhafte Beseitigung von Parkplätzen aus den Straßen der Innenstädte
  • die Bildung von verkehrsberuhigten „Superblocks“, durch die keine Durchfahrt mehr möglich sei

Die Erhöhung von Parkkosten für Anwohner kann in Baden-Württemberg jetzt die Kommune entscheiden.

Was macht die Pforzheimer Stadtverwaltung?

Wir haben uns vor kurzem online mit Herrn Maier und Herrn Eisenhauer von der Sanierungsstelle getroffen. Die Planer der Sanierungsstelle betreuen im Rathaus das aktuell laufende Sanierungsgebiet Nordstadt II und nehmen für die Weiterentwicklung der Nordstadt gerne Anregungen von uns Bürger*innen entgegen.

Wenn ihr im Sanierungsgebiet wohnt oder als Radfahrer*in und/oder Fußgänger*in regelmäßig in die zentrale Nordstadt kommt, habt ihr an der ein oder anderen Stelle vielleicht schon mal überlegt, wie man eine Straßenquerung für den Fuß- oder Radverkehr anders gestalten oder wo man eventuell noch Fahrradabstellmöglichkeiten schaffen könnte. Egal, ob kleine oder große Verbesserungsidee, zögert bitte nicht, die Planer der Sanierungsstelle an euren Gedanken teilhaben zu lassen und ihnen eure Vorschläge mitzuteilen. Die beiden Planer nehmen alle Ideen und Wünsche aus der Bürgerschaft ernst und prüfen jeden Vorschlag auf Umsetzbarkeit.

Wenn ihr eine Idee habt, aber nicht sicher seid, wie ihr euren Vorschlag am besten formuliert, könnt ihr euch im ersten Schritt auch gerne bei uns melden. Wir klären dann mit euch ab, um was es geht, und helfen gerne bei der Formulierung.

Ihre Meinung ist uns wichtig. Es interessiert uns, wie Sie selbst Ihre Wohnsituation einschätzen. Wo sehen sie die Probleme, welche Verbesserungsvorschläge haben Sie?

Beteiligungsappell der Sanierungsstelle

Die Stadt Pforzheim hat mit Gemeinderatsbeschluss vom Oktober 2020 eine Klimapartnerschaft mit Mtwara in Tansania vereinbart.

Und wir haben geschaut was man tun kann…

TansaniaDeutschland
CO2 Emissionen pro Kopf 1991 (to)0,0811,82
CO2 Emissionen pro Kopf 2014 (to)0,238,89
Durchschnittstemperatur 2019 (°C)23,410,2
BIP / Kopf (2018), (USD)1.05047.603
Quelle: Google

Die Rollen sind klar verteilt: wir sind reich, die Menschen in Tansania nicht, wir verursachen den Klimawandel, die Menschen in Tansania noch nicht und während es bis 2050 bei uns ein wenig wärmer werden wird, wird es in Tansania richtig heiß.

Bis 1918 war Tansania deutsche Kolonie. 44% der Einwohner waren in 2017 unter 15 Jahre alt. Etwa 25% sind unterernährt. In 2019 waren 79% der Exporte aus Tansania nach Deutschland Kaffee und Gewürze (64 Mio EUR). Deutschland exportierte nach Tansania Getreide (19 Mio EUR), Milch und Milchprodukte (2,4 Mio EUR) und „andere Lebensmittelzubereitungen“ (9,8 Mio EUR – vermutlich Geflügelfleischreste) sowie den ganzen Rest unserer industriellen Warenpalette (143,3 Mio EUR) (Quelle: Genesis Datenbank des statistischen Bundesamts).

Die Bevölkerung in Tansania ist je etwa zu einem Drittel christlich und muslimisch. Mtwara ist eine 1950 am Reissbrett entworfene Stadt an der Grenze zu Mosambique. Sie liegt am indischen Ozean und ist eine der ärmsten Regionen Tansanias. In der Gegend wurden zuletzt Erdgas, Erdöl und Uran gefunden (Quelle Wikipedia). Erdgas soll auch mittels Fracking abgebaut werden.

Die Stadt Pforzheim will sich mit Mtwara vernetzen, zusammenarbeiten und voneinander lernen, in den Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Klimafolgenanpassung, nachhaltige Mobilität, nachhaltige Land- und Forstwirtschaft, Wasser- und Abwassermanagement sowie Umweltbildung. Bürgermeisterin Schüssler ist gespannt, bei welchen Klimathemen die Zusammenarbeit erfolgen soll (Quelle: Stadt Pforzheim).

Wir hoffen, dass auch Pforzheim profitiert und aus dem aktuell noch nachhaltigen Mobilitätsverhalten der Menschen in Mtwara lernt. Und dass das Pforzheimer Budget für die Klimapartnerschaft in Projekte vor Ort und nicht in Flüge nach Tansania investiert wird.

Das Sachgebiet Klimaschutz des Amts für Umweltschutz hat schon mal einen Film in Auftrag gegeben, um den Afrikanern einen Einblick in das Leben in unserer Stadt zu geben. Der Film enthält schöne Luftaufnahmen der Stadt sowie – nicht ganz repräsentativ – ein Portrait der Critical Mass und des Auenhofs.

Ein schönes Beispiel  für die Umsetzung von Umweltpolitik ist die Verabschiedung des Lärmaktionsplans in Pforzheim:

Auf Basis der Umgebungslärmrichtlinie 2002/49/EG hat das Land Baden-Württemberg „für“ 2012 (also mehr als zehn Jahre später) eine Lärmkartierung vorgelegt. Das Beitragsbild zeigt einen Auszug aus der Lärmkarte für Pforzheim, welche durch die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) veröffentlicht wird.

Man sieht: Anwohner vielbefahrener Straßen haben es laut. Pforzheim muss als Stadt mit mehr als 100.000 Einwohner*innen alle paar Jahre einen Lärmaktionsplan vorlegen, um zu sehen, ob lärmmindernde Maßnahmen notwendig sind, weil Grenzwerte überschritten wurden. Ein Vorschlag für den Lärmaktionsplan hat die Verwaltung im Sommer 2020 in den Gemeinderat eingebracht. Demnach werden an fast allen Hauptstraßen die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte überschritten. Als lärmmindernde Maßnahmen werden weitgehend Tempo 30 ganztags oder Tempo 30 nur nachts sowie mittelfristig die Sanierung der Straßen mit lärmminderndem Asphalt vorgeschlagen.

Große Teile des Gemeinderates, insbesondere die Fraktionen und Gruppierungen FDP/FW/UB/LED, CDU, Junge Liste und AfD taten sich schwer damit bzw. lehnten den vorgelegten Aktionsplan mit den Maßnahmen ab. Da die betroffenen Bürger*innen ein Anspruch auf lärmmindernde Maßnahmen haben, hat die Bewegung „Wir in Pforzheim“ eine Bürgeraktion gestartet. Dabei wurden ca. 2500 Flyer in den betroffenen Straßenzügen verteilt und die Bürger*innen dazu aufgerufen Anträge zur Umsetzung des Lärmaktionsplanes zu stellen. Dies hat nochmals Öffentlichkeit für das Thema geschaffen und mehr Druck auf die politischen Entscheider*innen im Gemeinderat.

Nach mehreren Vertagungen des Themas hat die Verwaltung einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Des Weiteren hatten die AfD-Fraktion einen Änderungsantrag formuliert sowie die CDU-Fraktion mit der Gruppierung Junge Liste hatten einen Änderungsantrag formuliert.
Die AfD-Fraktion forderte auf den meisten Straßen Tempo 50, die CDU-Fraktion und die Junge Liste forderten auf einigen betroffenen Straßen tagsüber Tempo 50 und nachts Tempo 30. Die Auswahl der Straßenzüge von AfD, CDU und Junge Liste in den jeweiligen Anträge erschien dabei eher willkürlich. Der Kompromissvorschlag der Verwaltung umfasste fünf Hauptverkehrsstraßen, bei denen die Anzahl der Betroffenen gering ist, die Grenzwertüberschreitung eher gering oder die Verkehrsbedeutung der Straße sehr hoch. Insofern war der Kompromissvorschlag rechtlich sehr gut durchdacht. Im Kompromissvorschlag der Verwaltung betrifft dies die Straßen des Innenstadtrings, die Heinrich-Wieland-Allee, die Hachelallee, die Untere Wilferdinger Straße, die Kelterstraße und den westlichen Teil der Friedrich-Ebert-Straße.

Im Planung- und Umweltausschuss wurden am 10. Dezember 2020 die Anträge diskutiert. Eine Mehrheit gab es in dieser Sitzung auf Grund vieler Enthaltungen für keinen der Anträge.

Es bestand somit die Gefahr, dass im Gemeinderat gar kein Lärmaktionsplan verabschiedet werden würde. Die Bürger hätten ihr Recht auf Lärmschutz einklagen müssen. Die Wellen schlugen hoch: in Leserbriefen wandte sich die „Freie Fahrt für freie Bürger“ Fraktion gegen den Lärmaktionsplan, Lärmbetroffene meldeten sich auch emotional betroffen („Verachtung für die Anwohner“), der VCD verlangte, den ursprünglichen Lärmaktionsplan vom 14.7. zu verabschieden und der ADFC sprach sich für mehr Tempo 30 aus. Kurz vor der Gemeinderatssitzung startete die Critical Mass eine Rundmail „auf in die Mailpedale“, in der sie die Bürger aufforderte, ihre Stadträte anzuschreiben, damit diese in der Sitzung am 15. Dezember im Sinne der Lärmbetroffenen abzustimmen.

Der Kompromissvorschlag der Stadt wurde schließlich angenommen!

Es gab eine Mehrheit durch Stimmen der Fraktion und Gruppierungen FDP/FW/UB/LED, B90/Grüne, Grüne Liste, WiP/Die Linke, OB Boch und einzelne Stadträte*innen der CDU. AfD, Junge Liste und einige Stadträte*innen der CDU waren dagegen.

Die Junge Liste verorten wir nun schon das zweite Mal nahe der AfD. Der FDPFWUBLED-Fraktion gratulieren wir zu ihrem Abstimmungsverhalten.

Auf eine Aktion von „Wir in Pforzheim“ hin hatten Pforzheimer Bürger über 180 Anträge an die Stadtverwaltung gestellt, um diese aufzufordern, das BImschG umzusetzen und etwas gegen die erhöhten Lärmimmissionen an viel befahrenen  Strassen  in der Pforzheimer Innenstadt zu tun. Der ADFC gab dazu mit Blick auf die nachfolgende Gemeinderatssitzung am 14.12.2020 folgende Pressemeldung heraus:

„Auf Basis des Bundesimmisionsschutzgesetzes (BImschG) gibt es klare Grenzwerte für die Lärmbelastung. Nachdem 184 Anträge betroffener Bürger zur Einhaltung der Grenzwerte gestellt worden waren, sah der ursprüngliche Vorschlag der Stadtverwaltung für den Lärmaktionsplan denn auch Tempo 30 auf allen wesentlichen betroffenen Straßen vor. Trotzdem hat OB Boch dem Gemeinderat Gelegenheit gegeben, darüber abzustimmen, ob das Gesetz nun umzusetzen sei oder nicht und damit Gelegenheit zur Nicht-Umsetzung gegeben.

Nachdem die konservativen Fraktionen Vorschläge gemacht haben, das BImschG gar nicht oder nur zum Teil umzusetzen, hat die Stadtverwaltung nun den Ball zurückgespielt und einen Kompromissvorschlag vorgelegt, der am Dienstag zur Abstimmung kommen wird.

In diesem Zusammenhang weist der Vorstand des KV Pforzheim-Enzkreis des ADFC darauf hin, dass Tempo 30 auch für den Radverkehr und damit für die gewünschte Mobilitätsentwicklung der Stadt von erheblichem Vorteil wäre.

Die Ausweisung weiterer Tempo 30 Zonen wäre eine günstige und effiziente Methode, mit dieser umweltfreundlichen Methode der Fortbewegung die Verkehrssicherheit und die Lebensqualität in der Innenstadt voranzubringen.

Die 2,2 Mio. Euro, welche man nach den sonst zu erwartenden Anwohnerklagen für geräuschdämmenden Straßenbelag und andere Maßnahmen ausgeben müsste, wären erheblich besser in Kindergärten, Schulen und den geräuschlosen Radverkehr investiert: Zum einen, weil dies mit weniger Folgekosten  verbunden wäre. Und zum anderen, weil wir als Bürger der Stadt Pforzheim damit die Abkehr von der fortdauernden Subventionierung des Autoverkehrs einleiten könnten.

In der Diskussion um die Verlegung des Enztalradwegs hatte sich der Gemeinderat der Frage stellen müssen, ob die 300.000 Euro für die Ampelquerung der Jahnstraße dann nicht bei den Schultoiletten fehlen würden. Wir würden uns freuen, wenn der Gemeinderat nun bei 2,2 Mio. Euro für schnelles Fahren in der Innenstadt dieselbe Sparsamkeit an den Tag legen würde.

Wir fordern alle Fraktionen dazu auf, bei der Abstimmung am Dienstag nicht nur den Autoverkehr im Kopf zu haben, sondern auch an die Zukunft zu denken.“