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Ein schönes Beispiel  für die Umsetzung von Umweltpolitik ist die Verabschiedung des Lärmaktionsplans in Pforzheim:

Auf Basis der Umgebungslärmrichtlinie 2002/49/EG hat das Land Baden-Württemberg „für“ 2012 (also mehr als zehn Jahre später) eine Lärmkartierung vorgelegt. Das Beitragsbild zeigt einen Auszug aus der Lärmkarte für Pforzheim, welche durch die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) veröffentlicht wird.

Man sieht: Anwohner vielbefahrener Straßen haben es laut. Pforzheim muss als Stadt mit mehr als 100.000 Einwohner*innen alle paar Jahre einen Lärmaktionsplan vorlegen, um zu sehen, ob lärmmindernde Maßnahmen notwendig sind, weil Grenzwerte überschritten wurden. Ein Vorschlag für den Lärmaktionsplan hat die Verwaltung im Sommer 2020 in den Gemeinderat eingebracht. Demnach werden an fast allen Hauptstraßen die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte überschritten. Als lärmmindernde Maßnahmen werden weitgehend Tempo 30 ganztags oder Tempo 30 nur nachts sowie mittelfristig die Sanierung der Straßen mit lärmminderndem Asphalt vorgeschlagen.

Große Teile des Gemeinderates, insbesondere die Fraktionen und Gruppierungen FDP/FW/UB/LED, CDU, Junge Liste und AfD taten sich schwer damit bzw. lehnten den vorgelegten Aktionsplan mit den Maßnahmen ab. Da die betroffenen Bürger*innen ein Anspruch auf lärmmindernde Maßnahmen haben, hat die Bewegung „Wir in Pforzheim“ eine Bürgeraktion gestartet. Dabei wurden ca. 2500 Flyer in den betroffenen Straßenzügen verteilt und die Bürger*innen dazu aufgerufen Anträge zur Umsetzung des Lärmaktionsplanes zu stellen. Dies hat nochmals Öffentlichkeit für das Thema geschaffen und mehr Druck auf die politischen Entscheider*innen im Gemeinderat.

Nach mehreren Vertagungen des Themas hat die Verwaltung einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Des Weiteren hatten die AfD-Fraktion einen Änderungsantrag formuliert sowie die CDU-Fraktion mit der Gruppierung Junge Liste hatten einen Änderungsantrag formuliert.
Die AfD-Fraktion forderte auf den meisten Straßen Tempo 50, die CDU-Fraktion und die Junge Liste forderten auf einigen betroffenen Straßen tagsüber Tempo 50 und nachts Tempo 30. Die Auswahl der Straßenzüge von AfD, CDU und Junge Liste in den jeweiligen Anträge erschien dabei eher willkürlich. Der Kompromissvorschlag der Verwaltung umfasste fünf Hauptverkehrsstraßen, bei denen die Anzahl der Betroffenen gering ist, die Grenzwertüberschreitung eher gering oder die Verkehrsbedeutung der Straße sehr hoch. Insofern war der Kompromissvorschlag rechtlich sehr gut durchdacht. Im Kompromissvorschlag der Verwaltung betrifft dies die Straßen des Innenstadtrings, die Heinrich-Wieland-Allee, die Hachelallee, die Untere Wilferdinger Straße, die Kelterstraße und den westlichen Teil der Friedrich-Ebert-Straße.

Im Planung- und Umweltausschuss wurden am 10. Dezember 2020 die Anträge diskutiert. Eine Mehrheit gab es in dieser Sitzung auf Grund vieler Enthaltungen für keinen der Anträge.

Es bestand somit die Gefahr, dass im Gemeinderat gar kein Lärmaktionsplan verabschiedet werden würde. Die Bürger hätten ihr Recht auf Lärmschutz einklagen müssen. Die Wellen schlugen hoch: in Leserbriefen wandte sich die „Freie Fahrt für freie Bürger“ Fraktion gegen den Lärmaktionsplan, Lärmbetroffene meldeten sich auch emotional betroffen („Verachtung für die Anwohner“), der VCD verlangte, den ursprünglichen Lärmaktionsplan vom 14.7. zu verabschieden und der ADFC sprach sich für mehr Tempo 30 aus. Kurz vor der Gemeinderatssitzung startete die Critical Mass eine Rundmail „auf in die Mailpedale“, in der sie die Bürger aufforderte, ihre Stadträte anzuschreiben, damit diese in der Sitzung am 15. Dezember im Sinne der Lärmbetroffenen abzustimmen.

Der Kompromissvorschlag der Stadt wurde schließlich angenommen!

Es gab eine Mehrheit durch Stimmen der Fraktion und Gruppierungen FDP/FW/UB/LED, B90/Grüne, Grüne Liste, WiP/Die Linke, OB Boch und einzelne Stadträte*innen der CDU. AfD, Junge Liste und einige Stadträte*innen der CDU waren dagegen.

Die Junge Liste verorten wir nun schon das zweite Mal nahe der AfD. Der FDPFWUBLED-Fraktion gratulieren wir zu ihrem Abstimmungsverhalten.

Kim Späth, Kandidatin der Jungen Liste bei der Pforzheimer Gemeinderatswahl 2019, hat am 17.10.2020 in der Pforzheimer Zeitung unter dem Titel „Achtung Kontrolle: Rechte und Pflichten von Fahrradfahrern“ eine Polemik gegen Radfahrer veröffentlicht. Die Junge Liste ist uns als Vertretung der Jungen Union bekannt. Da noch vor Kurzem Stadtrat Sarow von der CDU bei der Gemeinderatssitzung im Juni allen Anwesenden die Vorteile des Radverkehrs erläuterte, haben wir uns gewundert, dass die CDU inzwischen fortschrittlicher ist als ihre Nachwuchsorganisation:

Höhepunkte des Aufsatzes von Frau Späth waren die Aussagen, in Pforzheim gäbe es 100 km Radwege, wieso die Radfahrer nicht dort fahren würden und dass „einige Radfahrer“ sich nicht an die Regeln halten würden, „die meisten Autofahrer“ aber schon. Dies vor dem Hintergrund, 

  • dass die 100 km Radwege wohl im Wald verlaufen, denn in der Innenstadt fehlt fast jede Spur davon,
  • dass die Mär vom Velorowdy längst enttarnt ist,
  • dass das Ordnungsamt diverse Mitarbeiter ausschließlich mit den Geldern aus Ordnungswidrigkeiten von Autofahrern bezahlen kann, und
  • dass die Stadtverwaltung unter CDU-Oberbürgermeister Boch jüngst die Notwendigkeit der Mobilitätswende erkannt hat.

Will sich Frau Späth hier auf eine Linie mit AfD-Stadtrat Bamberger stellen? Der AfD-Mann äußerte auf der Gemeinderatssitzung im Juni 2020, in Deutschland würden Autos produziert, man bräuchte keinen Radverkehr in Pforzheim.

Mit dem Fahrrad bergauf Richtung Bleichstr

Nachdem das verwaltungsvereinfachende Umlaufverfahren durch die Abgeordneten von AfD, FDP, UB, FW und LED (im Folgenden FDPFWUBLED) blockiert worden war, standen in der Gemeinderatssitzung vom 23.6.2020 zur Entscheidung an:

  • Die Ampelquerung über die Jahnstraße als wesentliches Element der Verlegung des Enztalradwegs auf die Südseite der Enz, zum Schutz der Fussgänger, die sich im Moment auf der Nordseite der Enz den Gehweg mit den Radlern teilen
  • Freigabe der Ingenieurdienstleistungen bezüglich des Umbaus der Westlichen KF. Es handelt sich im Wesentlichen um ein Straßensanierungsprojekt, bei dem auch ein Radweg auf die Straße gemalt werden soll
  • Das Realisierungsprogramm Radverkehr von 2020 von AB Stadtplanung zum Radverkehrskonzept von 2013 für die weitere Planung zu verwenden.

Wie viele stadträte mit dem Fahrrad gekommen sind, ist unbekannt. Die Sitzung begann mit einem kleinen Geplänkel bezüglich des Umbaus der Westlichen KF. Hier müssen ohnehin die Bushaltestellen barrierefrei umgebaut werden und die Parksituation sollte neu geordnet werden. Die Straße sollte daher in einem Durchgang saniert werden. In diesem Zuge soll auch ein Radstreifen auf der Fahrbahn markiert werden. Nachdem sie bereits das Umlaufverfahren blockiert hatte, hatte die FDPFWUBLED Fraktion im Vorfeld der Gemeinderatssitzung den Antrag gestellt, dieses „Radverkehrsprojekt“ überhaupt nicht zu realisieren. Auf Initiative von Stadtrat (SR) Baumbusch musste der Gemeinderat daher zunächst entscheiden den FDPFWUBLED Antrag wieder von der Tagesordnung zu nehmen.
Daraufhin beantragte SR Klein, auch den Umbau der Westlichen von der Tagesordnung zu nehmen, was zwar weitere Zeit kostete, aber ebenfalls im Vorfeld abgelehnt wurde.
Endlich stand als erster radverkehrspolitisch relevanter ordentlicher TOP das Realisierungsprogramm Radverkehr zur Diskussion. Zunächst meldete sich CDU Stadtrat Sarow mit einem flammenden Plädoyer für den Radverkehr zu Wort, welches inhaltlich kein wesentliches Argument ausließ: Radverkehr sei aktueller denn je, ökonomisch und ökologisch eine intelligente Fortbewegungsart, platzsparend, ein Imagegewinn für Pforzheim und integrationsfördernd für Menschen mit Migrationshintergrund. Er forderte den Radverkehr als gleichwertiges Verkehrsmittel in die Planung mit einzubeziehen. Daraufhin meldete sich die Stadträtin Wulff (SPD) und sagte die Unterstützung ihrer Fraktion zu, fragte aber nach, ob die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen nach den jeweils aktuellsten Vorschriften und Richtlinien geplant sei, was zugesagt wurde. Daraufhin wurde Stadtrat Klein das Wort erteilt. Er bemängelte, dass das vorliegende Realisierungsprogramm Radverkehr mehr als 10.000 EUR gekostet hätte, dass ständig neue Konzepte vorgelegt werden würden und nichts umgesetzt werden würde, sagte aber seine Unterstützung zu (der einzigen zur Abstimmung stehenden Umsetzung widersprach er jedoch später, siehe unten). SR Weisenbacher (Wir in Pforzheim) stellte fest, dass dieses Umsetzungsprogramm nur ein erster Schritt sein könne und dass er sich mehr Mut wünschen würde als nur die üblichen 08/15 Lösungen umzusetzen. Stadtrat Dr. Sturm (AfD) wandte ein, auf Seite 49 des Radverkehrskonzepts von 2013 seien die Radverkehrsanteile nur geschätzt und er zweifele sie an. Außerdem gehöre zu dem Radrealisierungsprogramm auch, dass Straßenverkehrsknoten umgebaut werden müssen und dies sei zu teuer. Nun meldete sich SR Hägele (FDPFWUBLED) zu Wort. Er sei gegen Radverkehr, wenn dies zu Lasten des Autoverkehrs ginge. Als nächstes war SR Herkens (B90 / Grüne) an der Reihe. Er stellte fest, dass in der Vergangenheit Politik gegen den Radverkehr gemacht worden sei und dass endlich mit der Umsetzung begonnen werden solle. Er griff direkt Stadtrat Klein an, indem er diesen aufforderte, die Kleingeistigkeit gegen den Radverkehr aufzugeben. SR Bamberger (AfD) merkte an, dass die Fahrräder aus China kämen und dass in Deutschland Autos produziert würden. Darüber hinaus würden Autos gebraucht, damit die Menschen zur Arbeit fahren können. Er sähe keinen Bedarf für den Radverkehr in Pforzheim. SR Baumbusch (Grüne Liste) meinte, er würde zwar das Auto nutzen, gestand dem Radverkehr aber trotzdem eine Zukunft in Pforzheim zu. Er kritisierte, sieben Jahre habe man gebraucht für das Realisierungsprogramm, und trotzdem müssen nun noch jede Maßnahme daraus einzeln beschlossen werden. Er machte sich dafür stark, die Stadt der Bevölkerung, insbesondere den Fußgängern und den Radfahrern zurückzugeben. Weniger eilig hatte es auch nach sieben Jahren SR Kubisch (FDPFWUBLED), der sich dafür aussprach, zunächst nur eine Verkehrsachse zu realisieren und dann weiter zu sehen.
Man schritt zur Abstimmung und beschloss mit 23 Ja Stimmen und 15 Gegenstimmen, das Realisierungsprogramm Radverkehr als verbindliche Grundlage der zukünftigen Planungen im Radverkehr anzunehmen. Ziel des Realisierungsprogramms ist eine priorisierte Maßnahmenliste, die möglichst zeitnah umgesetzt werden kann bzw. deren Umsetzung in den nächsten Jahren begonnen werden kann. Die im Realisierungsprogramm explizit genannten “Quick Wins“ wurden nicht beschlossen. Es steht nun zu befürchten, dass diese in den nächsten Gemeinderatssitzungen ausführlich diskutiert und höchst langsam umgesetzt werden, was dann dazu führen wird, dass keine der Radverkehrsachsen tatsächlich funktionieren wird, da dicke Bretter erst einmal nicht zur Entscheidung anstehen werden.
Weiter ging’s mit der Radquerung der Jahnstraße. Hier soll eine Ampel installiert werden, damit nicht länger Radfahrer und Fußgänger auf der Nordseite der Enz konkurrieren. SR Hägele ( FDPFWUBLED) fragte wozu noch eine Ampel, rechts und links gäbe es schon eine und eine Ampel bedeute „Stau“ (für den Autoverkehr, meinte er), was er ablehne. Stadträtin Engeser (CDU) sprach sich für die Verlegung des Radweges aus; die Ampelschaltung solle mit den anderen Ampeln auf dem Innenstadtring synchronisiert werden. Sie wies darauf hin, dass die Querung der Deimlingstraße auf Höhe des Parkhotels ebenfalls für die Fußgänger verbessert werden müsse. SR Dr. Grimmer (AfD), meinte, die Ampel würden den Radverkehr und den Autoverkehr stoppen (womit er vermutlich nicht meinte, es sollen alle gleichzeitig fahren) und etwas weiter gäbe es bereits eine ausreichende Ampel; die Stadt solle sich das Geld und die Beeinträchtigung des Innenstadtrings sparen. SR Fuhrmann (SPD) stimmte der Vorlage mit dem Argument zu, die Verlegung des Radweges sei gut für die Gastronomie und jetzt käme es zum Schwur, ob tatsächlich auch Maßnahmen beschlossen werden würden. SR Herkens (B90 / Grüne) meinte, die Verlegung des Enztalradweg sei ein Lichtblick und würde den Radverkehr erleichtern; das Geld sei ohnehin bereits im Haushalt eingestellt. SR Dörflinger (Junge Liste) meinte seine Fraktion sei zwiegespalten, da eine Ampel unpraktisch sei, andererseits sei die Radwegverlegung sinnvoll, weswegen die Junge Liste zustimmen werde. SR Weisenbacher meinte, die Sicherheit der Querung sei wichtiger als die Flüssigkeit des Autoverkehrs, weswegen WiP/Die Linke ebenfalls zustimmen werde. Zuletzt meldete sich wieder SR Klein zu Wort. Als Replik auf die Anmerkung von SR Herkens zu seiner Kleingeistigkeit erwiderte er, es solle wegen Corona auch beim Radverkehr Geld gespart werden, und es sollen andere Prioritäten gesetzt werden. Er fände aus fachlicher Sicht die Verlegung zweifelhaft und meinte, wenn dort eine Ampel gebaut werden würde, würden die Radfahrer ohnehin bei Rot fahren und die jetzige Querung reiche aus; alles andere sei Verschwendung von Steuergeldern. An dieser Stelle rief OB Boch zur Abstimmung: 24 Ja Stimmen, 14 Gegenstimmen.
Danach wurden ohne weitere Diskussion die Vergabe der Ingenieursleistungen zum Umbau der Westlichen KF mit 16 Gegenstimmen beschlossen. Einen Baubeschluss gab es ja bereits.

Nun ist die Stadtverwaltung am Zug.

Gemeinderäte von UB, LED, FW, FDP und AfD haben Anfang Mai mit Hinweis auf seit Jahren vernachlässigte Schultoiletten und fehlendes Geld den eigentlich nur formalen Umlaufbeschluss zur Weiterführung der Projekte „Umgestaltung der Westlichen KF“ und „Südverlegung des Enztalradwegs“ durch das Unterlaufen der erforderlichen Einstimmigkeit blockiert. Nun muss der Gemeinderat am 23. Juni 2020 darüber entscheiden.

Der Umbau der Westlichen KF ist ein Straßensanierungsprojekt, bei dem nur ein Bruchteil für Radverkehr ausgegeben wird und die Stadt kann bis zu 70% der Mittel über Förderprogramme akquirieren. Die Südverlegung des Enztalradwegs wird helfen, die Stadt sicherer und lebenswerter zu machen. Die Mehrheit im Gemeinderat mit CDU, SPD, Grünen Grüner Liste, WIP und Die Linke hat der Jugend in der Gemeinderatssitzung am 23. Juni 2020 dann sowohl sichere Radwege als auch Toiletten finanziert.