Laut ADFC „So geht Verkehrswende“ sind nur etwa 10% bis 20% der potentiellen Radfahrer*innen bereit, Radschutzstreifen wie aktuell in Pforzheim auf die Straßen gemalt zu benutzen. Den übrigen 80% bis 90% ist das zu unsicher. Sie wollen baulich getrennte Radwege, Kreuzungen nach dem holländischen Kreuzungsmodell, Fahrradstraßen und verkehrsberuhigte Superblocks (das heißt, Wohngebiete ohne Durchgangsverkehr).

Nur wenn wir diesen Menschen ein attraktives Angebot machen, wird eine Verkehrswende auch in Pforzheim möglich. Nur wenn diese Menschen sicher und gerne mit dem Fahrrad unterwegs sind, können wir die Lebensqualität in unserer Stadt nachhaltig verbessern.

Die schwarz-grüne Landesregierung des Landes Baden-Württemberg formuliert im Koalitionsvertrag zur Verkehrspolitik:

Unser Ziel ist ein durchgängiges, sicher befahrbares Radverkehrsnetz in Baden-Württemberg. Radwege sollen, wo immer möglich, baulich vom Auto- und Fußverkehr getrennt werden. Sie müssen deshalb in Zukunft bei jedem Straßenprojekt mitgedacht werden – ebenso wie Fußwege.

(Koalitionsvertrag 2021 Baden-Württemberg, Seite 125)

Die bauliche Trennung eines Radwegs muss nicht teuer sein:

Beispiel aus Berlin: die Abstandshalter mussten in Mexiko beschafft werden – wohl zu einfach für deutsche Standards

Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag wird auch die Umsetzung des Zielzustandes des RadNETZ BW als Priorität genannt. Zum RadNETZ BW gehört die Nord-Südverbindung in Pforzheim und somit die Kreuzung Heinrich-Wieland-Allee / Hohenzollernstraße (siehe unten, mit aktuell noch temporär geplantem Sandwich-Radweg ohne bauliche Trennung).

Jetzt müssen sich die Planer entscheiden: Einen politisch legitimierten Vorschlag umsetzen oder lieber veraltete Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, wie aktuell noch auf der Webseite der Stadt Pforzheim beworben („Radwege für die, die gerne zwischen Autos fahren“):

Quelle: Webseite der Stadt Pforzheim – Stand Mai 2022

Radfahrer*innen sollen in Pforzheim zwischen fahrenden Autos und parkenden Autos fahren, ständig in Gefahr, mit der sich gerade öffnenden Tür des parkenden Autos zu kollidieren oder den Weg abgeschnitten zu bekommen von denen, die gerade ein- oder ausparken wollen. Von baulich getrennten Radwegen keine Spur. Dabei ist Pforzheims Vision dem Stand von Berlins Umsetzung etwa 10 Jahre hinterher, wie folgendes Bild zeigt:

Beispiel aus Berlin: Fahrradspur rechts von den parkenden Autos

Kein Wunder, dass die Leute in Pforzheim lieber das Auto nehmen… hier Bilder von parkenden Autos auf Radwegen in der Östlichen Karl-Friedrich-Straße (beide Richtungen):

Das pikante: diese Situation befindet sich in Sichtweise des technischen Rathauses. Wer würde seine Kinder hier mit dem Fahrrad fahren lassen?

Ebenfalls beliebt in Pforzheim: „Sandwich-Radwege“, bei denen die Radlerin im Extremfall auf eineinhalb Meter Radstreifen zwischen zwei dreieinhalb Meter hohen Lastern eingeklemmt ist:

Quelle: ADFC zu Radwegen in Mittellagen

Der ADFC lehnt solche Sandwich-Radwege („Radwege in Mittellagen“) ab, da zu gefährlich. Trotzdem ist einer davon auf die Östliche Karl-Friedrich-Straße gemalt und ein weiterer wird bald (allerdings aussagegemäß nur temporär, wegen massivem LKW-Verkehrsaufkommen) hinzukommen an der Kreuzung Heinrich-Wieland-Allee / Hohenzollernstraße. Es ist eben billiger, die Fahrradfahrer so auf den bestehenden Straßen durch einfache Straßenbemalung „zu versorgen“. Autoaffine Stadtplaner berufen sich dabei auf die sogenannten „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA), die durch einen privaten Verein aufgestellt und inzwischen veraltet sind, siehe folgender Beitrag ab Minute 20 (Link zu NDR Film).

Um Pforzheim zu einer fahrradfreundlicheren Stadt zu machen, benötigen wir zumindest eine sichere Nord-Süd-Achse und eine sichere Ost-West Achse, sowie eine Anbindung der Südstadt. „Sicher“, das heißt:

  • baulich getrennte Radwege
  • Fahrradstraßen und Modalfilter (z.B. Poller, die nur Fussgänger*innen undn Radler*innen durchlassen) in Wohngebieten
  • Kreuzungen nach dem holländischen Kreuzungsmodell
  • Wohngebiete ohne Durchgangsverkehr
baulich getrennte Radwege, Mindeststandard (Quelle: ADFC: So geht Verkehrswende, S. 22)
Fahrradstraßen und Modalfilter (Modalfilter = „Autos müssen außen rum“ – Quelle: ADFC So geht Verkehrswende, S. 28)
Kreuzungen nach dem holländischen Kreuzungsmodell (ADFC: So geht Verkehrswende, S. 39)

Kreuzungen nach dem holländischen Kreuzungsmodell sorgen dafür, dass Radler*innen und Autofahrer*innen an Kreuzungen in stumpfem Winkel aufeinandertreffen und verhindern so, dass Radler*innen im toten Winkel von LKWs umkommen.

Wohngebiete ohne Durchgangsverkehr (ADFC: So geht Verkehrswende; S. 30)

Eine Einfahrt in die Wohngebiete ist zwar möglich, nicht jedoch die Durchfahrt für Kfz.

Die Ebersteinstraße im weiteren Verlauf der Nord-Süd-Achse: Hier nimmt die Nord-Süd-Verbindung einen Umweg, denn für Radfahrer geht es auf der Ebersteinstraße bergab überhaupt nicht weiter. Vielmehr handelt es sich um eine für den Radverkehr nicht freigegebene Auto-Einbahnstraße von Süd nach Nord, mit etwa zehn Parkplätzen auf der linken und fünf auf der rechten Seite die die Strasse für alles andere als den autodominierten Verkehr verstopfen. Wir fordern, die Parkplätze durch einen Radweg zu ersetzen. Es fand ein Vor-Ort Termin statt, aber einen Beschluss des Gemeinderats gibt es bis zum heutigen Tag nicht.

Inzwischen hat sich die Situation insoweit verändert, als die innenstadtnahe Nordstadt Sanierungsgebiet wurde und das Quartier zwischen Zähringerallee und Rudolfstraße verkehrsberuhigt werden soll.

Als erster Schritt wurden dazu im Oktober 2020 Poller auf dem Ebersteinplatz errichtet, die eine Nord-Süd Befahrung der Ebersteinstrasse für den Autoverkehr verhindern. Die Maßnahme fand den starken Beifall der Anwohner, wurde aber angefeindet durch die örtlichen Gewerbetreibenden und die Autofahrer, die bisher die Ebersteinstrasse als Durchgangsroute verwendeten.

Januar 2021: Die Fraktion FDPFWUBLED-Fraktion hatte einen Antrag gestellt, die Poller wieder zu entfernen.

Anwohner, denen daran liegt, durch eine verkehrsberuhigte Nachbarschaft an Lebensqualität zu gewinnen, haben daraufhin die Initiative Pro Poller! gegründet. Teilnehmer der Critical Mass unterstützten die Initiative, da die Poller in der Ebersteinstr. ein wichtiger Schritt hin zu einer funktionierenden Fahrrad-Nord-Südachse in Pforzheim sind. Die gemeinsame Anstrengung hatte Erfolg; die Poller sind geblieben und das Cafe Pasler bietet inzwischen attraktive Außensitzplätze an.

In 2023 wurde dann der Radweg im weiteren Verlauf Richtung Heinrich-Wieland Allee umgesetzt. In süd-nördlicher Richtung wird die Flächenkonkurrenz zwischen parkenden Autos und Radverkehr dabei deutlich sichtbar.: zunächst weisen Piktogramme auf der Strasse den Radlern den Weg, dann, kurz vor der Kreuzung wurde ein Radschutzstreifen auf die Straße gemalt.

Nach einem Unfall an der Kreuzung Enztalradweg / Deimlingstraße brachte unsere Kundgebung einen Ball  ins Rollen. Wir forderten eine sichere Ausgestaltung der Radwegquerung. Zuletzt fand eine Besichtigung im Rahmen eines vor Ort Termins mit Beteiligten der verschiedenen Ämter statt. Anlässlich dessen meinte der Vertreter des Amts für öffentliche Ordnung, dass ein Zebrastreifen an dieser Stelle die Fußgänger nur in falscher Sicherheit wiegen würde.

Das muss ein überzeugendes Argument gewesen sein, denn seitdem ist bis 2023 nichts mehr passiert.

Die Kreuzung Heinrich-Wieland-Allee / Hohenzollernstraße ist ein wichtiger Knotenpunkt auf der Nord-Süd-Achse. Die aktuell vorhandene Planung von 2015 sieht nicht zumutbare Fahrradstreifen mitten zwischen den Autofahrspuren vor. Das ist nicht akeptabel. Es ist weder zeitgemäß noch führt es dazu, dass sich ängstliche oder vorsichtige Fahrradfahrer aufs Rad schwingen.
Wir fordern von der Politik einen Ausbau der Kreuzung nach dem holländischen Modell, um eine sichere Querung für alle Fahrradfahrer zu gewährleisten. Diese Kreuzung bietet sich dazu geradwegs an.

In 2023 wurde die Kreuzung in einer vorläufigen Form ohne holländisches Modell umgesetzt: In nord-südlicher Richtung ist es jetzt möglich – wenn man mutig genug ist – auf einem Sandwichradweg zwischen Rechts- und Linkabbiegerspur direkt aus der Heinrich-Wieland-Allee in die Ebersteinstrasse weiterzufahren.

(von West nach Ost ist der Gehweg auf dem Foto zugleich auch der Radweg)

Am 29. Mai 2016 schrieb die PZ , die frischgebackene Baubürgermeisterin Sibylle Schüssler wolle „den Enztalradweg schon auf Höhe des Messplatzes auf die rechte Seite verlegen, wie vom Verkehrsclub gefordert, und über die Jörg-Ratgeb-Straße bis zum Steg am Waisenhausplatz führen. Dort könnten Radler die Seite wieder problemlos wechseln“. (Artikel „Mehr Pforzheimer sollen auf’s Rad“ von Martina Schäfer).

Im Mai 2017 übernahm OB Peter Boch die Verantwortung im Pforzheimer Rathaus. Anlässlich einer Unterschriftenaktion der Critical Mass und in Reaktion auf diverse Unfälle versprach er am 12. September 2019, noch im Frühjahr 2020 den Radweg auf die südliche Seite der Enz zu verlegen (Artikel „Radweg wird in die Ratgeb-Straße verlegt“ von Ulla Donn-von Yrsch im Pforzheimer Kurier vom 13. September 2019).

https://www.fahrradstadt-pforzheim.de/wp-content/uploads/2020/04/PK-Artikel-Enztalradweg-19_09_13-Boch-verspricht-ihn-auf-die-Suedseite-zu-verlegen.pdf

Eine so kurzfristige Terminplanung war zu mutig für Pforzheimer Verhältnisse, wie sich in der Folge herausstellte.

Auf die Frage des Stadtrats Christof Weissenbacher an Herrn Auer (Leiter des Pforzheimer Grünflächen und Tiefbauamtes) im Planungs- und Umweltausschuss am 05.02.2020 ob denn nun die Verlegung des Radwegs von nördlich der Enz auf südlich der Enz in diesem Frühjahr stattfinden würde, teilte dieser mit, „dass aufgrund der Zeitläufe für Ausschreibungen die Verlegung erst im Herbst erfolgen kann“. (lt. Bürgerinformationssystem, TOP Ö 5).

Im Oktober 2023 findet anlässlich der Critical Mass eine Gedenkbefahrung des nach wie vor auf der nördlichen Seite der Enz befindlichen Enztalradwegs statt.

Wir werden das weiter beobachten.

Besonders erstaunlich ist der Verlauf des Enztalradwegs entlang der Bissinger- und der Simmlerstrasse durch eine Shisha Bar (siehe Bild), wo man praktisch während der Fahrt dem Ober die Getränke vom Tablett nehmen kann. Im weiteren Verlauf verläuft sie über den Eingang zum Friseurgeschäft „Barbers“ und durch ein Restaurant. Die Strecke, die offiziell als touristisches Angebot bis Bad Liebenzell angepriesen wird, ist besonders für Fussgänger gefährlich, da der Radweg der Gehweg ist. Es wurde bereits von diversen Unfällen berichtet.

Die Critical Mass führte daher dort unter anderem im Rahmen der Aktion „Ab in den Süden“ eine Intensivbefahrung durch, sowie eine Unterschriftenaktion. Als Reaktion auf die Unterschriftenaktion versprach OB Boch im September 2019 die Verlegung des Enztalradwegs auf die Südseite der Enz.

(der händische Datumseintrag auf dem oben verlinkten Artikel ist ein Jahr zu spät – der Artikel erschien in 2019)

Im Oktober 2023 findet anlässlich der Critical Mass eine Gedenkbefahrung des nach wie vor auf der nördlichen Seite der Enz befindlichen Enztalradwegs statt.